The Zero Theorem: Christoph Waltz im neuen Terry-Gilliam-Film (2024)

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The Zero Theorem: Christoph Waltz im neuen Terry-Gilliam-Film (1)

Manche Geschichten kann man gerne zweimal erzählen, zum Beispiel diese hier: In Terry Gilliams Zukunftsvision "Brazil" von 1984 gerät ein kleiner Angestellter in die Mühlen einer Diktatur, wie George Orwell sie sich nicht grausamer hätte erträumen können. "Brazil" lotete die Möglichkeiten des Widerstands in einer totalitären Gesellschaft aus und kam zu einem eindeutigen Schluss: Greifen Unterdrückung und Kontrolle erst einmal, gibt es kein Entrinnen mehr. Die Liebe, das kleine Glück, alles wird vom Staatsapparat zermalmt.

In Terry Gilliams neuem Film "The Zero Theorem", entstanden dreißig Jahre nach "Brazil", gerät ein kleiner Angestellter in die Mühlen eines Konzerns, den Dave Eggers sich nicht grausamer hätte erträumen können. "The Zero Theorem" lotet die Möglichkeiten des Glücks in einer Welt aus, in der die Menschen für ihren Betrieb leben und Freizeit nur Fußnote eines sinnlosen Arbeitslebens geworden ist.

Der Film will ganz offensichtlich als Update von Gilliams Meisterwerk "Brazil" verstanden werden. Der Inbegriff des Schreckens ist nun nicht mehr der Staat, sondern der omnipräsente Konzern Mancom, eine Metapher für führende Internetunternehmen wie Google oder Facebook. Die Angestellten schieben ohne erkennbaren Zweck Klötzchengrafiken hin und her. Auch sonst lässt Gilliam wenig aus: Internetp*rnografie, pizzasüchtige Computernerds, sprechende Werbebanner, die das Stadtbild bestimmen - jede Zeit bekommt die Dystopie, die sie verdient.

The Zero Theorem: Christoph Waltz im neuen Terry-Gilliam-Film (2)

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"The Zero Theorem": Angriff der Klon-Angestellten

Foto: Concorde

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Qohen Leth, Angestellter bei Mancom, ein still verzweifelter Sinnsucher, der in einer verlassenen Kirche haust und vom Zwang zur guten Laune und zur Selbstoptimierung in die Depression getrieben worden ist. Gespielt wird die Figur von einem gut aufgelegten Christoph Waltz, glatzköpfig, ganz in Schwarz und zuerst kaum wiederzuerkennen. Leth ist Sozialautist, spricht von sich selbst nur in der ersten Person Plural ("Wir mögen keine Gesellschaft") und wirkt in dieser quietschbunten Welt, gleich ob im Büro oder auf der After-Work-Party, wie ein Fremdkörper.

Beweis für die universale Wertlosigkeit

Wie schon in "Brazil" versucht der Held vergeblich, sich zu entziehen. Vom Mancom-Mastermind (Matt Damon, ganz in Weiß), der unter dem Pseudonym "Management" firmiert, erhält Leth den Auftrag, das titelgebende Nulltheorem zu entschlüsseln. Was genau das sein soll, erklärt der Film nicht, anscheinend strebt "Management" den wissenschaftlichen Nachweis der universalen Wertlosigkeit aller existierenden Dinge an. Zwecks Beweisführung werden weiter unermüdlich Klötzchengrafiken hin- und hergeschoben, bis zum Burn-out.

Wie in jeder Dystopie, die es ernst meint, ist die Zukunft in "The Zero Theorem" als ein zur Kenntlichkeit entstelltes Bild unserer Gegenwart gedacht. Gilliam inszeniert sie mit den Mitteln, die man aus seinem Werk kennt: grelle Farben, angeschrägte Kameraperspektiven und Schauspieler, die enthemmt grimassieren.

Die Ausgangsidee Gilliams ist zwingend: Der Spätkapitalismus erscheint hier als eine nihilistische Mischung aus "Blade Runner" und Kölner Karneval. Die Gleichzeitigkeit von Beklemmung und Komik, die "Brazil" zum Genreklassiker werden ließ, bietet "The Zero Theorem" allerdings nicht. Der Film hätte für die Ära von Facebook und Instagram werden können, was Orwells "1984" für die Ära des Kalten Krieges und Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" für die sogenannte Postmoderne gewesen ist: eine Erzählung, der es gelingt, vom gesellschaftlichen Zwang ihrer Epoche zu erzählen.

Leider ist "The Zero Theorem" überfrachtet mit aufgebrezelten existenzialphilosophischen Dialogen, die mit der Zeit doch etwas müde machen. Der Plot gestaltet sich zunehmend wirr, der Schnittrhythmus holpert, die Szenen lahmen, und die Witze - Tilda Swinton als rappende Therapeutin mit Überbiss zum Beispiel - wollen nicht zünden. Wie schon Gilliams letzte, von schwierigen Produktionsumständen gebeutelten Filme "The Brothers Grimm" und "Das Kabinett des Dr. Parnassus" wirkt "The Zero Theorem" vor allem überladen.

Trotzdem ist er aufschlussreich. Er zeigt, dass für die Gewalt einer Diktatur, wie "Brazil" sie gezeigt hat, ohne Weiteres Bilder abrufbar sind, es aber äußerst schwierig ist, Erzählungen zu finden, die vor Augen führen könnten, was Macht und Kontrolle heute bedeuten. Schon dass er diesen Umstand unfreiwillig, aber glasklar vor Augen führt, macht "The Zero Theorem" sehenswert; sehenswerter jedenfalls als einen Großteil der Filme der Regisseure, die meinen, immer alles richtig machen zu müssen und sich nur vergleichsweise wenig trauen. Terry Gilliam scheitert mit Würde, er scheitert an der eigenen Vision - nicht an den Ansprüchen des Marktes.

"The Zero Theorem"

Großbritannien, Rumänien 2013

Drehbuch: Pat Rushin

Regie: Terry Gilliam

Mit: Christoph Waltz, Mélanie Thierry, David Thewlis, Matt Damon, Tilda Swinton, Peter Stormare

Produktion: Nicolas Chartier, Dean Zanuck

Verleih: Concorde Filmverleih

Länge: 107 Minuten

Start: 27. November 2014

Offizielle Webseite des Films "The Zero Theorem"
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